Eine Halloween Geschichte: Die Voss S24/Voss ST 24

Kapitel Eins (klick me to read this story in english by google translate)

Das alte Haus am Waldrand

Mit einem lauten Krachen fielen die Mauerziegel in einer weiß-grauen Staubwolke lautstark auf den Holzdielenboden.

„Mach bloß den schönen Boden nicht kaputt! Die Dielen sind über hundert Jahre alt.“

„Was Du nicht wüsstest, hätte ich nicht den ollen Teppich abgerissen, der drüber geklebt gewesen ist.“

„Naja, hat uns beiden nicht geschadet. Gedacht habe ich mir das schon. Bin ja nicht blöd.“

„Architektin“, dachte ich mir, als Sammy, meine Frau mich auf meine beiden linken Hände aufmerksam machte. Das Haus hatten wir erst vor ein paar Tagen gekauft. Ein altes viktorianisches Haus aus Holz und Ziegeln. Stand hier oben allein, die nächsten Nachbarn waren gute fünf Minuten Autofahrt entfernt.

„Ein Schmuckstück!“, hatte der Makler geschwärmt. Mir war klar, Makler schwärmen berufsmäßig von Häusern, die sie verkaufen.

„Sei nicht so ein Stinker, die Substanz ist sehr gut, dass müsstest sogar Du sofort sehen“, hatte Sammy mir zugeflüstert.

„Neben der Einfahrt zum Grundstück stehen die Schuppen, in denen noch die Gerätschaften für die Gartenarbeiten untergebracht sind.“, der Makler zeigte aus ·dem Fenster der Küche hinaus in Richtung Tor zum Grundstück.

„Die große Doppelgarage mit direktem Zugang zum Erdgeschoß, ein großer Vorteil!“, sagte er.

Sammy zwinkerte mir zu. Ich sah vor allem die viele Arbeit, die hier drinstecken würde. Und das war so gar nicht meins: monatelang abends nach der Arbeit auch noch in weißer Kutte oder im Blaumann ewig-und-drei-Tage an dieser Bruchbude rumbasteln, bis man dann endlich mal drin wohnen konnte. Aber was wusste ich schon? „Ich war ja nicht vom Fach“, hätte Sammy dann gesagt. Wie so oft.

„Und was ist da oben, die Schlafzimmer?“, fragte ich extra blöd. Sammy verdrehte die Augen.

„Oben sind drei Schlafzimmer, zwei weitere beliebig nutzbare und eine Bibliothek. Von da aus kommt man dann auch in das Dachgeschoß.“, sagte der Makler.

„Schöner Baustil“, musterte Sammy. „Bisschen gruselig, aber charmant. Es riecht muffig, sind Sie sicher, dass hier kein Holzwurm oder Pilz drin ist?“, fragte sie.

„Das Gutachten ist erst ein paar Tage alt. Wir haben das natürlich untersuchen lassen. Keine Böcke, Pilze, Sporen, Würmer, Schimmel-irgendwas.“

Der Makler wirkte aufrichtig. Sammy sah erleichtert aus.

„Gut, schicken Sie mir bitte eine Kopie davon ins Büro. Ich werde selbst Kontakt mit dem Gutachter aufnehmen und das genau prüfen.“, sagte Sammy.

„Sie sind vom Fach?“ fragte der Makler, „das ist gut, ich kann Ihnen versprechen, wir von Houses Friendship and Sons bieten nur die allerbesten und mängelfreie Immobilien an. Wir wären sonst gar nicht hier.“

„Das glaub‘ ich Ihnen gern“, sagte Sammy.

„Sie glaubt ihm kein Wort“, dachte ich mir.

„Wir wollen ja nicht die Katze im Sack kaufen!“, sagte sie.

„Selbstverständlich!“, stimmte der Makler zu, „ich sehe das genauso! Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!“

„Auf jeden Fall ein schönes Treppenhaus!“, bemerkte ich.

Sammy zwickte mich heimlich in die Seite. Offensichtlich hatte Sammy schon mit der Preisverhandlung begonnen. Ich ging hoch, weil ich die Bibliothek sehen wollte. Das Licht der Sonne des späten Nachmittags tauchte den Raum in ein dunkleres Orange. Der blaue Himmel und die grün-braunen Baumkronen des umliegenden Waldes an diesem Berghang waren eine Augenweide. Das hier war ein richtig tolles Haus, in einer fantastischen Lage mit einem Blick in die Umgegend, die atemberaubend schön und friedlich war. Unsere beiden Kinder, Jim und Jill würden sich hier oben austoben können. Platz gab es in Hülle und Fülle.

„Und das hier ist die Bibliothek, oh, da sind Sie ja, na, wahnsinns-Blick hier oben, nicht wahr?“, sagte der Makler zu mir. Ich konnte meine Begeisterung für diesen Ort nicht verbergen und schaute nach meiner Frau. Sammy resignierte. Ich hatte ihren Plan dieses Haus möglichst günstig ergattern zu können, offensichtlich zu Nichte gemacht.

„Wo ist der Haken?“, fragte ich den Makler. Sammy schaute mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Ja, ich meine: wahnsinnige Lage, wunderbare Räume, Substanz in Ordnung, riesiges Grundstück. Wir haben die Preise verglichen und es ist günstig. Wo also ist der Haken?“, sagte ich.

„Sie haben hier einfach Glück“, war die Antwort. „Für das Objekt ist die Liste der Interessenten entsprechend lag, das kann ich Ihnen auch sagen“, sagte er weiter, „die Nachfrage ist riesig. Der Vorbesitzer muss mit dem Geld schnell die medizinische Versorgung seiner Tochter finanzieren. Deswegen ist der Preis so niedrig.“, sagte er.

„Das tut mir leid“, sagte Sammy.

„Ich hoffe dem Kind geht es bald wieder gut“, sagte ich.

Der Makler nickte. Auf dem Weg zum Ausgang sahen wir ein Auto, das die Einfahrt hochfuhr. Das waren die nächsten Interessenten. Der Makler schien nicht übertrieben zu haben.

„Wenn wir jetzt nicht zusagen, wird das Haus weg sein!“, flüsterte mir Sammy zu. Ich schaute nervös zu der Familie, die uns dieses Schnäppchen streitig machen könnte.

„Ah, hier kommen schon die Nächsten“, sagte der Makler.

„Hätten wir denn noch Bedenkzeit? Immerhin…“, begann Sammy.

„Aufgrund der Situation kann der Vorbesitzer nicht warten. Wer hier und heute zusagt, der bekommt den Zuschlag.“, sagte der Makler.

Sammy sah mich an und nickte.

„Ok! Wir nehmen es!“, sagte ich schnell.

„Oh, so ein schönes Haus, Bobby“, freute sich Sammy und umarmte mich. Der Makler grinste über beide Ohren und ließ sich von meiner Sammy in den Arm nehmen. Er sah mich an und sagte: „Dann lassen Sie uns nochmals reingehen und die Papiere unterschreiben.“

Kapitel zwei

Ein überraschender Fund

„Genauso hab´ ich mir das gedacht“, grunzte ich. „Seit Tagen rödle ich hier rum und versuche uns so schnell wie möglich ein schönes Heim zu machen und Dich interessiert der Dielenboden.“

„Stell Dich nicht so an, ich bin so froh, dass Du diese Arbeit abends noch schaffst. Aber ich bitte Dich auch, einfach ein bisschen aufzupassen. Wer weiß denn, was wir noch so alles erneuern müssen und für einen neuen Boden habe ich kein Budget eingeplant.“, sagte Sammy.

So war sie, meine Sammy. Architektin, seitdem die Kinder da waren, hatte sie sich beruflich eingeschränkt. Aber sie war immer mit Leib und Seele dabei. Hatte, neben ihren Pflichten als Mutter, geplant, gerechnet. Skizzen ausgearbeitet. Leistungsverzeichnisse zusammengestellt. Angebote eingeholt. Firmen beauftragt und die Bauleitung gemacht. Jedes nötige Gewerk bereitete sie vor, so wie sie es gewohnt war: Keine Kompromisse, keine Schlampereien.

Die Zeiten für Leute wie uns waren denkbar ungünstig: teure Baustoffpreise, überhitzte Märkte.

„Alles was wir selber machen spart uns Geld!“, sagte Sammy.

„Das ist mir klar, meine Süße“, sagte ich.

„In einer halben Stunde ist das Essen fertig“, meldete sie, „und denk dran, Opa bringt unsere beiden gleich zurück.“

Unsere Kinder. Blieben bei Sammys Eltern, solange wir hier oben zu tun hatten. Für Jill und Jim war es ein riesiges Abenteuer: mit Mama und Papa auf einer Baustelle zu wohnen und alles zu erkunden.

„Ich hab´ s gleich“, sagte ich, „nur noch schnell diese Wand hier, dahinter müssten die Leitungen nach unten liegen.“

Mit einigen Hammerschlägen lockerte ich den Innenputz und das Mauerwerk dahinter begann zu wackeln. Unter meiner FFP2 Maske konnte ich den Staub des alten Kalkputzes zwischen den Zähnen spüren und der Schweiß verwandelte das Zeug auf meinem Gesicht zu einer klebrigen Schicht. Der Schutt fiel auf das Malerflies, das ich zum Schutz der Dielen vorher ausgelegt hatte. Ich griff beherzt in das größer werdende Loch und riss und zog weitere Brocken aus der Wand heraus.

„Sammy!“, rief ich überrascht, „Sammy! Das musst Du Dir anschauen!“

„Ich hab jetzt keine Zeit, Süßer, die Kleinen sind doch jeden Moment wieder da!“, wiegelte sie ab.

„Das Essen kann warten“, sagte ich und nahm die Taschenlampe in die Hand. „Ich habe ein neues Zimmer entdeckt!“

Das Zimmer war klein. Etwa dreimal vier Meter groß. Es lag in einer Zwischenebene hinter dem Ortgang des Obergeschosses und dem Kniestock. Durch ein kleines, dreckiges Fenster strahlte das Mondlicht hinein. Von außen war das Fenster nicht zu entdecken, wenn man sich nicht auf dem Dach direkt davor befand.

Ein Bücherregal stand an der Wand. Schmutzränder zeugten von Feuchtigkeit. Der Boden war spröde und gerissen. Alte Stromleitungen waren an den Wandbalken angebracht worden. Ein staubiger Schrank stand neben einem Schreibtisch. Auf der Tischplatte konnte ich eine Fuge erkennen.

Solche Tische kannte ich.

Ich hielt die untere Kante der Tischplatte und hob sie nach oben an. Nichts bewegte sind. Ich legte die Taschenlampe auf den Aktenschrank daneben und versuchte es diesmal mit beiden Händen. Die Platte hob sich, Staub wirbelte in die Luft, und mit einem Mal kippte die Tischplatte nach oben von mir weg. Darunter stand eine festgeschraubte alte Schreibmaschine.

Voss ST24
Die Voss Schreibmaschine

„Daddy, Daddy, was ist das?“, fragte mich meine kleine Jill, als ich mit der alten Schreibmaschine unter dem Arm aus dem Dachgeschoß herunterkam.

„Das ist eine Schreibmaschine“, sagte ich.

„Was macht die?“, fragte Jill.

„Mit so einer kann man Briefe an die Oma schreiben“, sagte ich.

Sammy deckte den Tisch. George, Sammys Vater, hatte die Kinder zurückgebracht.

Vösse…

„Eine Voss. Deutsches Modell. Müsste aus den 195oer Jahren sein.“, sagte er.

„Wie geht’s Linda?“, fragte ich ihn.

„Ihr Literaturclub, Du weißt schon.“, antwortete er.

„Willst Du mitessen, Dad?“, fragte Sammy.

„Nein, aber danke für die Einladung, aber ich will Abend das Spiel sehen. Wenn sie schonmal weg ist, so war’s geplant.“, sagte George.

„Schade“ sagte Sammy.

„Voss? Woher kennst Du Schreibmaschinen George?“, fragte ich.

„Früher hab´ ich für den alten Jones Material gefahren. Er hatte lange einen Büromaschinenladen in der Stadt. Hat so Anfang der 90er dicht gemacht.“, sagte er.

„Jones? Kann mich nicht erinnern“, sagte Sammy.

„War so, meine Liebe“, antwortete George.

„Und wieso Voss? Schau Dir das Ding an, sowas habe ich ja noch nie gesehen“, sagte ich.

„Die waren bei uns selten. Soweit ich weiß wurden die Voss nur wenige Jahre gebaut, dann ist der Laden Pleite gegangen.“, sagte George.

Die Kinder saßen bereits am Tisch. Ich begleitete George an die Tür, nachdem er Sammy eine Umarmung gegeben hatte.

„Mach´ s gut, Dad, grüß Mom von uns.“, rief Sammy.

„Mach ich. Schönen Abend Euch, sagte George.

„Sieht gruselig aus“, sagte Sammy und schaute auf die Voss.

„Ich finde sie echt toll Dad“, sagte Jill, kann ich später damit spielen?“

„Erst mache ich sie sauber. Ich schaue mal, ob sie noch funktioniert, und dann zeig ich Euch wie eine alte Schreibmaschine funktioniert.“, versprach ich.

Kapitel drei

Gleich am nächsten Morgen fuhr ich mit einer Einkaufsliste nach Henderton City. Am Abend zuvor hatte ich noch ein paar Minuten Zeit gehabt mir das Modell anzuschauen und im Internet weitere Informationen herauszufinden. Es gab im Netz eine Seite zu Seriennummern von Schreibmaschinen aller Art. Diese Voss hier war Baujahr 1958. Ich fand heraus, dass der Schriftsteller James Joyce auf einer solchen Voss seine Bücher geschrieben hatte.

Besonderheit der Voss waren die aufklappbaren Farbbanddeckel. Dazu drückte man die Shift-Lock Taste und hob damit den Wagen nach oben. Sie hatte ein Wagenshifting, bei dem sich der ganze Laufwagen mit dem Papier anhob. Das war zumeist unbequemer als bei den späteren Schreibmaschinen, bei denen sich der Typenkorb stattdessen senkte. Die Voss war ein Kind ihrer Zeit. Ansonsten stimme Sammys Eindruck von der Maschine: sie erinnerte sehr an den Film Alien und HR Giger oder den Designer Colani der 70er- und 80er-Jahre erinnert. Die Maschine wirkte wie ein lebendiger Organismus. „Dramatisch“ war ein anderes Wort dafür. Mich beeindruckte die Voss.

„Sag mal Steve, habt Ihr noch solche Farbbänder für so alte Schreibmaschinen“, fragte ich, den Verkäufer im Hardwarestore der Stadt.

„Farbbänder für Schreibmaschinen? Wie viele brauchst Du? Ich kann auch neue bestellen. Es gibt ein paar Kunden, die manchmal danach fragen. Gibt es wieder auf dem Markt.“

„Oh, die gibt es wieder? Wusste ich gar nicht“, sagte ich.

Am späten Abend, als die Kinder schon im Bett lagen und Sammy auf dem Sofa eingeschlafen war, ging ich leise in den Keller, um die Voss wieder ins Laufen zu bringen. Ich hatte sie entstaubt und gereinigt. Die alten Andruckrollen hatte ich ausgebaut. Die Kleinen ersetzt und die Große mit Schleifpapier angeraut. Nun lief der Papiereinzug wieder reibungslos. Der Zusammenbau war schwierig, aber nach ein paarmal Probieren saß alles wieder an seinem Platz. Der Wagen lief wieder frei und flüssig. Der frisch polierte Lack und die nun rostfreien Chromteile ließen die Maschine in einem neuen Licht erstrahlen.

Das Versprechen

„Du sitzt ständig an diesem Ding“, sagte Sammy. Sie sah wütend aus. „Wenn Du so weiter machst, werden wir mit der Renovierung nie fertig, was soll denn das werden?“, fragte sie mich.

„Tut mir leid, Süße“, sagte ich reumütig.

Tatsächlich: das Teil hatte mich seitdem ich es gefunden hatte in seinen Bann gezogen. Anstatt abends meine kurze Zeit für den Umbau des Hauses und meine Familie zu verwenden, saß ich vor der Voss und schrieb Briefe, Listen oder kurze Geschichten auf ihr. Die Geschichten, die mir dabei einfielen, fand ich wirklich gut. Sammy auch.

Dennoch wurde sie bald wirklich wütend auf mich, weil ich mich nicht an unsere Abmachungen hielt.

„Ich höre jetzt damit auf, ich verspreche es“, sagte ich. Ich stellte die Voss auf einen Tisch unten im Keller und legte ein Tuch darüber

Sammy sah mich misstrauisch an.

„Wirklich, Schatz, sieh: ich bin schon fast oben!“, sagte ich. Sammy lachte und gab mir einen Kuss.

 

Kapitel vier

Schlaf mein Kind

„Ich hab Durst und muss mal aufs Bad“, dachte die kleine Jill, als sie mitten in der Nacht wach wurde. Sie schlüpfte aus ihrem Bettchen in die kleinen plüschenen Pantoffeln, nahm sich Billy ihren Bären unter den Arm und schlich leise aus dem Zimmer, dass sie sich mit ihrem Bruder Jim teilte. Im Bad würde es ein Glas frisches Wasser geben, dachte sie sich, als sie auf dem dunklen Flur entlanglief.

„Mom und Dad schlafen“, sagte sie sich, „Billy Du bist schön leise, ja?“, flüsterte sie zu ihrem Bären.

Das Licht des Mondes strahlte durch die Fenster des Hauses. Jill hatte keine Angst. Billy war stark. Er würde sie beschützen. Nachdem sie ein Glas Wasser getrunken und den Wasserhahn wieder abgedreht hatte, wollte sie zurück in ihr Zimmer.

„Hörst Du das Billy?“, fragte Jill ihren Bären. „Da ist doch eine Fee, na klar!“, sagte sie, „sei schön leise Billy, sonst verjagst Du die gute Fee!“.

Jill und Billy gingen leise nach unten. Der Mond beleuchtete die holzgetäfelten Wände des Treppenhauses. Sie hielt sich behutsam am Geländer fest. Im Erdgeschoss angekommen lauschte Jill.

„Billy, Du hast sie verscheucht! Böser Bär!“, schimpfte die Kleine. „Nein, nein, leise, hör, die Fee ist doch nicht weg“, sagte sie neugierig. „Sie ist im Keller“, sagte sie und zeigte nach unten.

Das Kind schläft

„Wo bleibt denn Jill, Jimmy?“, fragte Sammy.

Jimmy saß an diesem Morgen noch verschlafen in seinem Schlafanzug am Tisch und hielt einen Löffel in der Hand.

„Jill schläft noch“, sagte er.

„Jetzt noch?“, fragte Sammy, „macht sie doch sonst nie!“

Normalerweise kam Jill morgens immer freudestrahlend runtergeschossen, weil sie es kaum erwarten konnte, mit allen zusammen zu frühstücken. Meistens war sie schon lange vor den Eltern wach.

„Ich schau mal nach Ihr“, sagte ich und ging nach oben. „Aufwachen Jilly!“, flüsterte ich leise zu ihr, als ich mich neben sie auf ihr Bettchen gesetzt hatte. Jill lag da, atmete ganz ruhig und schlief tief und fest.

„Na, bist Du gestern spät ins Bett gekommen, wie, mein Schatz?“, sagte ich.

Jill schlief weiter. Mittlerweile waren Sammy und Jim auch da. Sammy setzte sich auf die andere Seite des Bettes.

„Schatz, wach auf!“, sagte sie zu ihr.

Sammy schaute mich besorgt an: „Bobby, was ist mit ihr?“ Sie wirkte beunruhigt.

„Ich weiß es nicht, Schatz, vielleicht war sie gestern nochmal wach? Das hat sie doch manchmal!“, versuchte ich sie zu beruhigen.

„Was hat Jilly denn? Ist sie tot?“, fragte Jim.

„Nein, Jimmy! Jill ist nur sehr müde“, antwortete ich.

„Bobby, hol den Arzt!“, sagte Sammy.

„Nein, wir fahren gleich ins Krankenhaus!“, sagte ich.

„Au ja! Krankenhaus, toll!“, sagte sich Jim.

Im Krankenhaus

Als wir eine halbe Stunde später am Northern Mill Krankenhaus angekommen waren, kam uns schon eine Schwester entgegen.

„Sie wacht nicht auf!“, rief Sammy besorgt und die Schwester führte uns sofort in ein Untersuchungszimmer.

„Ruf Dad an und lass ihn Jim abholen“, sagte Sammy zu mir. Die Beiden kamen so schnell sie konnten und nahmen den kleinen Jimmy mit.

„Die Messwerte sind alle in Ordnung“, sagte der Arzt, als sie die Kleine an den Monitor angeschlossen hatten. Ihr kleiner Kopf war mit Sensoren zugeklebt. Die Maschine maß ihren Herzschlag und ihre Atmung.

„Das Kind ist gesund, ich kann mir das so nicht erklären“, sagte der Arzt, „die Blutwerte sind noch im Labor und sollten in ein paar Stunden da sein. Bis dahin können Sie bei ihr warten.

„Ich muss jetzt zur Arbeit“, sagte ich Sammy. Sie schaute mich nicht einmal an:

„Geh schon. Ich bleibe bei ihr!“, antwortete sie.

Auf der Arbeit

Den ganzen Tag lang war es mit mir und meiner Konzentration nicht weit her. Ich war ständig in Gedanken bei meiner Tochter und ich zermarterte mir das Hirn, was da los sein könnte.

„Habt Ihr mal das Trinkwasser bei Euch da oben mal prüfen lassen?“, fragte mich Peter, mein Kollege.

„Trinkwasser?“, fragte ich ihn.

„Ja, das könnte ja vielleicht eine Reaktion auf die alten Leitungen sein, Bleirohre oder so!“, sagte er.

„Bleirohre? Nein, wir haben alles erneuert. Gegen toxische Belastungen wurde vorher ein Gutachten gemacht Aber der Hinweis ist gut, danke Dir, mein Freund!“, sagte ich.

Mit ein paar guten Ratschlagen verließ ich das Bürogebäude in der sechsten Straße in Henderton City so bald wie möglich. Ich fuhr schnurstracks ins Krankenhaus zu Jill und Sammy und hoffte auf gute Neuigkeiten.

Zurück im Krankenhaus

Als ich ankam, fielen mir sofort die Schläuche auf, die meiner Jilly mitttlerweile durch die Nase gelegt worden waren.

„Sie kriegt eine Nasensonde, sie ist noch zu klein!“, sagte Sammy mit Tränen in den Augen, „Bobby, was ist denn bloß los? Was ist ihr denn passiert?“, fragte sie mich weiter.

„Peter sagte was von Toxinen und Trinkwasser, Sammy, vielleicht hatte es was damit zu tun?“

„Toxine? sagte Sammy, „aber wir haben doch das Gutachten?“

„Du hattest doch mit dem Gutachter gesprochen?“, fragte ich.

„Nein!“, sagte Sammy, „wir waren so in Eile mit dem Kauf, da hab ich gar nicht mehr daran gedacht.

„Dann fahr ich schnell heim, suche es und rufe den Gutachter an!“, sagte ich.

„Ich bleibe bei Ihr“, sagte Sammy.

Die Suche nach der Ursache

Ich fuhr so schnell ich konnte zurück zum Haus. War Blei oder irgendeine Altlast vielleicht die Ursache für Jills Zustand? Hatte nicht der Makler von der Tochter des Vorbesitzers gesprochen? War da nicht was mit einem medizinischen Notfall?

Im Haus angekommen musste ich nicht lange nach den Unterlagen zum Hauskauf suchen. Sammy hatte alles sorgfältig abgelegt. Ich fand also die Dokumente des Ingenieurbüros und rief die Nummer an:

„Smithers am Apparat“, hörte ich die Stimme am anderen Ende der Leitung sagen.

„Ja, mein Name ist Myers, Bobby Myers.  Meine Familie und ich haben vor ein paar Wochen das Haus oberhalb der Mountain View Road, gekauft. Der Makler von Houses Friendship and Sons hat uns Ihr Gutachten zur Toxikologischen Untersuchung des Objekts mitgegeben. Und deswegen rufe ich an: Unsere Tochter liegt im Krankenhaus, ein sieben Jahre altes Mädchen, sie wacht einfach nicht mehr auf, könnte das etwas mit diesem Haus zu tun haben?“

Meine Stimme flatterte. Ich spürte jetzt die ganze Anspannung und Sorge um meine kleine Jilly, und vielleicht konnte mir dieser Mann da am anderen Ende der Leitung endlich helfen.

„Haus oberhalb der Montain View Road?“, fragte der Mann, „ah, das Haus der Renders? Das arme Kind! Nein, nach unseren Untersuchungen ist da nichts in der Bausubstanz, dass den Zustand ihres Kindes erklären könnte. Wir haben damals nichts gefunden!“ Der Mann machte eine Pause.

„Gar nichts?“, fragte ich ihn.

„Wissen Sie, das ist aber schon merkwürdig, wir haben die Untersuchungen gemacht, weil die Tochter krank geworden war.“

„Was hatte sie denn?“, fragte ich erstaunt.

„Soweit ich weiß, war die Kleine schon immer kränklich gewesen! Sie war früh in medizinischer Behandlung. Die Familie wohnte schon viele Jahre in dem Haus. Schon der Großvater hatte da gewohnt. Die Familie glaubte, dass ihre Tochter vielleicht durch irgendwelche Giftstoffe im alten Haus so krank gewesen ist. Die Vermutung war aber unbegründet, wie unsere Untersuchungen dann bewiesen hatten. Die Renders haben dann vor einigen Monaten das Haus verkauft, um das Geld für die Behandlung ihrer Tochter aufbringen zu können.“, sagte er.

„Was könnte denn dann der Grund gewesen sein? Wissen sie da etwas, gab es neue Erkenntnisse bei dem Mädchen der Renders?“, fragte ich ihn weiter.

Ein Rat vom Gutachter

„Ich gebe ihnen den Rat sich mit den Renders in Verbindung zu setzten. Ich habe dazu leider keine aktuellen Informationen. Tut mir sehr leid.“, sagte der Gutachter. Der Mann hatte die neue Adresse oder Telefonnummer dieser Familie nicht, also rief ich den Makler an.

„Houses Friendship and Sons, Miller am Apparat, Mr. Myers, was kann ich für sie tun“, fragte mich die Stimme am Ende der Leitung. „Sie rufen spät an, sie haben Glück, dass ich noch im Büro bin, sonst hätten sie mich morgen erst erreicht!“

„Ich habe ein großes Problem, Mr. Miller, meine Tochter liegt im Krankenhaus und wir vermuten die Ursache in der Bausubstanz des Hauses. Ich habe soeben mit dem Gutachter Mr. Smithers telefoniert, doch der sagte mir, es gäbe dafür hier keine Hinweise. Ich möchte die Renders sprechen, deswegen rufe ich sie an, Mr. Miller, ich brauche die Adresse und Telefonnummer.“

„Das klingt ja furchtbar, natürlich, hier warten Sie mal bitte“, der Makler schien den Hörer beiseitezulegen und nach der Nummer zu suchen Hier ist sie, die Renders sind nach Avelong gezogen, Adresse und Telefonnummer hab ich für Sie!“

Unerreichbar

Ich notierte mir die Daten und legte auf. Ich versuchte einige Male die Renders zu erreichen. Doch niemand nahm ab. Es war mittlerweile spät in der Nacht und ich überlegte mir gleich morgen früh weiterzumachen. Ich sah auf die Uhr. Die Casio meldete zwei Uhr morgens. Das war wirklich spät. Oder früh, wenn man so wollte. Dann schaute ich auf mein Handy. Niemand hatte angerufen. Ich wollte Sammy nicht wecken, sie würde sicher schlafen, stattdessen schickte ich ihr eine Textnachricht:

„Gutachter sagt am Haus lags nicht. Habe Kontakt mit Vorbesitzer aufgenommen. Konnte ihn noch nicht erreichen. Mache morgen weiter. Wie geht es Jill und Dir?“

Ich legte das Smartphone beiseite und setzte mich auf die Couch im Wohnzimmer. Meine Gedanken kreisten wild durcheinander, ich schaltete den Fernseher an, schaute aber nicht konzentriert hin. Als ich einige Minuten später merkte, dass ich nicht ruhiger wurde, suchte ich nach Alkohol und fand die angebrochene Whiskeyflasche in der Küchenzeile.

„Wenn heute Nacht noch was ist…, das kann ich Sammy und Jill nicht antun!“, sagte ich zu mir selbst. Ich ließ die Flasche verschlossen und setzte mich wieder auf das Sofa.

Der nächste Morgen

Die Sonne weckte mich. Ich schreckte auf und schaute mich um. Es war 9 Uhr morgens. Ich griff zum Handy und sah, dass mich Sammy mehrere Male angetextet und auch angerufen hatte.

„Wo bist Du?“, las ich, „warum bist Du nicht zu erreichen?“, las ich weiter.

„Jill wird nicht wach, ich habe Angst und Du bist nicht da“, las ich.

Ich drückte die Schnellwahltaste und rief Sammy an.

„Schatz, tut mir leid, ich muss eingeschlafen sein, ich habe nix mitbekommen!“, fing ich an.

„Komm her, sie ist aufgewacht!“, rief Sammy ins Telefon.

 

Ich machte mich sofort auf den Weg.

Kapitel fünf

Renders Welt

„Daddy, Daddy.“

Jake Renders spürte die kleine Hand seiner Tochter in seiner. Sie sah ihn mit ihren grünen Augen an, währenddessen sie ihren geliebten Teddy in der anderen Hand hielt.

„Daddy, Daddy“… „Jake, Jake… Beileid, tut mir leid Jake!“.

Verschwommen nahm Jake eine Stimme wahr. Die Stimme kam von draußen. Diesem Draußen, diesem grauenhaften Draußen. Als seine tränenverschmierten Augen ein klareres Bild von diesem Draußen offenbarten, da spürte er wieder diesen stechenden Schmerz. Es wurde ihm heiß bin in die Fingerspitzen, seine Knie waren weich, ihm war so schlecht, daß er sich übergeben wollte. Er zitterte. Er schlotterte.  Seine Zähne klapperten aufeinander. Sein Körper war nicht unter seiner Kontrolle. Ihm wurde wieder klar, wo er sich befand.

Vor ihm lag ein kleiner weißer Holzsarg, eingelassen in eine frische Erdgrube, die man mit künstlichem grünem Rasen gerahmt hatte. Ein bunter Haufen Blumensträuße lag drum herum verstreut. Die Stimme, die er hörte, war das ausgesprochene Beileid seines Freundes, Carl. Jakes Hand war klamm, Carl legte ihm die Hand auf die zittrigen Schultern und versuchte ihn auf diese Weise zu trösten. Jake wollte den Namen seiner kleinen Tochter sagen, doch er befürchtete, dass dann alles um ihm herum wirklich wahr werden würde, wenn er ihren Namen sagen würde.

Paula, seine Frau saß auf einem Stuhl neben ihm, ihr Gesicht in ein rosafarbenes Taschentuch vergraben. Links neben ihr, hielten sie Freunde und Verwandte so weit aufrecht, wie es eben ging. Doch Paula war am Boden zerstört. Ein Arzt hatte ihr ein Beruhigungsmittel geben müssen. Nur so konnte sie an dieser Beerdigung, der Beerdigung ihrer eigenen Tochter teilnehmen.

Jemand hielt Jake eine kleine Schaufel hin. Er sollte damit einen kleinen Haufen Erde auf den Sarg fallen lassen. „Verfickte kleine Schaufel“, dachte Jake. Das konnte alles nicht wahr sein, warum war er in eine solche Situation gekommen? Wie konnte das passieren? Er konnte keinen klaren Gedanken fassen.

Jenny, seine kleine Jenny war schon immer kränklich gewesen. All die Jahre über hatten Paula und er alles versucht sie wieder gesund zu machen. Erst vor ein paar Jahren hatten sie es geschafft, dass Jenny mit einigen anderen Patienten in der Universitätsklinik an einer Studie für eine neue Medikation teilnehmen konnte. Die Ergebnisse waren vielversprechend. Die kleine Jenny war kräftig und gesund wie nie. Doch die Kosten für die Behandlung waren horrend. Paula und er, Familie und Freunde taten was sie konnten um die finanziellen Mittel die nötig waren aufzubringen. Am Ende hatte Jake das Haus seines Vaters Willi Renders verkaufen müssen, um die Teilnahme seiner Jenny an der Studie weiter zu finanzieren. Mit dem Verkaufspreis war das alles in trockenen Tüchern gewesen.

Jenny wacht nicht auf

Doch dann, vor einigen Wochen, kurz nach dem Jake, Paula und Jenny in die kleinere Wohnung in der Nähe der Klinik eingezogen waren, war Jenny morgens einfach nicht aufgewacht.

Sie brachten Jenny in die Klinik, doch die Ärzte konnten sich den Zustand nicht erklären. Die Tests und Untersuchungen brachten keine Ergebnisse. Man vermutete die Medikation als Ursache des Zustands und während die Doktoren und Wissenschaftler, Laboranten und Spezialisten ihre Testreihen an Mäusen und anderen Patienten der Studie durchführten, saß Paula Tage und Nächte besorgt bei ihrer Jennifer und hoffte, dass ihr Kind endlich wieder aufwachen würde.

Drei Tage später wachte Jenny dann tatsächlich wieder auf.

Sofort fuhr Jake ins Krankenhaus, um seine Tochter in die Arme zu schließen. Die Fahrt dauerte gar nicht lange. Als Jake eine knappe halbe Stunde später das Zimmer betrat, hatte man Paula schon ein Beruhigungsmittel gegeben. Zwei Schwestern kümmerten sich um seine Frau, währenddessen drei Ärzte am Bett seines Kindes standen.

„Was ist los? Was ist mit, Jenny, was ist mit meinem Kind?“, rief Jake.

Wie ein Blitzschlag traf ihn die Angst und Ohnmacht, zog ihm den Boden unter den Füßen weg.

„Mr. Renders, es tut mir leid, Mr. Renders.“

„Nein! Nein, das kann nicht sein, helft ihr, helft ihr, wofür seid Ihr Ärzte, nein, nein!“, schrie Jake und beugte sich über den Körper seiner kleinen Tochter.

Die Ärzte hielten ihn an Armen und Schultern, ließen ihn aber gewähren.

Die Zeit danach

Die Zeit nach der Beerdigung nahm Jake wie im Nebel war. Die Medikamente, die er von den Ärzten bekam, schluckte er nur um überhaupt ein paar Stunden schlafen zu können.

Doch dann kamen die Alpträume, da halfen auch die Tabletten nicht, und mitten in der Nacht wachte er schweißgebadet und schreiend auf.

„Daddy, Daddy!“, rief da immer wieder seine Jenny zu ihm, „Daddy, Daddy!“, und er sah sie mit ihrem kleinen wehrlosen Körper von oben in dieser Grube liegen, Blut überall, Feuer und Rauch, Hände die nach ihr greifen.

„Daddy, Daddy!“ Die Bilder waren so heftig, dass Jake eines Nachts von der Polizei auf dem Friedhof an Jennys frischem Grab aufgegriffen wurde.

„Ich hol Dich Liebling, ich hab Dich, gleich bin ich bei Dir!“, rief er, als er ihren Sarg wieder ausgrub.

Danach hatte man ihn in die Psychiatrie eingewiesen. Neue Medikamente sorgten dafür, dass Jake nun nachts, nicht mehr aufwachen würde. Die Alpträume aber, die kamen immer noch.

Paulas Heimkehr

Paula war nach der Beerdigung bei ihren Eltern in Wisconsin untergekommen. Sie lag tags wie nachts in ihrem ehemaligen Kinderzimmer, vollgepumpt mit Beruhigungsmitteln. Ihre Mutter brachte ihr tagsüber eine warme Suppe, sang ihr Lieder vor·, genoss es ihr Kind wieder bei sich zu haben, und versuchte damit auf ihre Weise über den Verlust ihrer Enkelin hinweg zu kommen.

Paulas Nächte waren ruhiger als die von Jake. Sie blieb von Albträumen verschont.

Die Nachricht von der Einlieferung Jakes in die Psychiatrie erschütterte die beiden Großeltern. Helfen konnten sie ihm nicht auch noch. Sie hatten beide Hände voll zu tun, sich um ihre Tochter zu kümmern.

Kapitel sechs

Natürlich konnte Bobby die Renders nicht erreichen.

Ich fahre. Ich fahre schnell. Das Auto rast die neblige Hochstraße nach Henderton City hinunter.

„Daddy, schau mal, Billy braucht ein Pflaster“, sagt Jill, meine kleine Tochter, da hinten auf dem Rücksitz und hält mir ihren braunen Plüschteddy hoch. „Billy braucht ein Pflaster, Billy braucht ein Pflaster“, ich schaue lächelnd in den Rückspiegel, stelle ihn so ein, dass ich meine kleine Jill richtig gut sehen kann. Ihre grünen Augen leuchten mich an.

„Gleich, mein Schatz“, sagte ich zu ihr, „gleich sind wir da!“

„Daddy, Daddy!“, sagt sie, „Daddy, Billy braucht ein Pflaster!“, ich schaue nochmal in den Spiegel. Der ist nun richtig eingestellt. Ich suche ihren Blickkontakt.

Doch sie ist weg!

„Herrje, ·ja, ich bin auf dem Weg zu ihr, Sammy hat mich angerufen, ich habe sie angerufen, Jill ist wieder wach!“, fällt mir wieder ein.

„Daddy, Daddy!“, höre ich.

Begegnung

Ich fahre den Kombi entlang einer langgezogenen Kurve den Mountain Drive hinab, als sich plötzlich die Nebelschwaden vor mir wie ausgeblasener Zigarettenrauch zur Seite bewegen. Ich sehe ein blaues Licht, sieht wie der Scheinwerfer eines Lasters aus, und heb den Arm, weil er mich blendet. Kurz, nur ganz kurz, da sehe ich diese Frau.

Ich trete mit voller Kraft in die Bremsen, doch ich schaffe es nicht: die Frau, die da im blauen Licht steht, schaut mir ins Gesicht und ich sehe in ihre grünen Augen.

Es macht einen Schlag und die Reifen quietschen. Ich mache meine Augen wieder auf, die ich wohl reflexartig verschlossen habe. Ich seh mich um.

„Wo ist die denn?“, denke ich. und mach die Tür auf. Renne auf die Straße, um nach hinten zu gehen und die Frau zu suchen, die ich gerade überfahren habe.

Niemand zu sehen! Der Motor läuft noch, der Auspuff stampft weiße Wolken in die kalte Luft. Die Scheinwerfer des Autos strahlen den Nebel an. Ich steh mittendrin wie in so einem Wattebausch. Ich krieg es mit der Angst zu tun. Sowas hab ich noch nie erlebt. Langsam wird’s mir kalt und ich fang an zu zittern.

„Daddy, Daddy!“

Gerade eben hab ich meine Jilly mit ihrem Teddy auf dem Rücksitz gesehen. Sie liebt ihren Teddy doch so sehr. Sammy wartet da unten auf mich, da unten im Krankenhaus, wo Jill heute Morgen wohl endlich wieder wach geworden ist.

„Ich muss doch zu Jill!“, denk ich mir.

Erleuchtung

Alles ist ruhig. Ich höre den Motor und den Wind in den Bäumen.

„Ich fühl mich hier so wohl“, denk ich mir. Mir wird es warm. „Das ist so schön hier!“, kommt mir in den Sinn.

Ich merk, wie mir ein Sonnenstrahl zwischen den Baumwipfeln durch in die Augen scheint und mich blendet. Langsam wird es hell und der Nebel verfliegt.

Ich geh zurück zum Wagen, stelle die Automatik auf D, dreh das Fahrzeug und fahr langsam wieder zurück zum alten Haus da oben am Waldrand.

Timmies Großvater

„Grandpa, Grandpa, Schreibst Du denn schon wieder?“, fragte der kleine Tommy seinen Großvater Bobby. Bobby konnte sich nicht erinnern, jemals etwas anderes getan zu haben. Schon immer saß er hier, an seinem Platz in diesem alten Haus am Waldrand und schrieb Geschichten auf dieser alten Voss Schreibmaschine. Ein deutsches Modell, wurde nur wenige Jahre lang gebaut dann waren sie pleite, erinnerte er sich. Das hatte sein Vater damals erklärt. Diese deutschen Schreibmaschinen, wie die Autos der Deutschen, die waren schon was Besonderes. Bobby erinnerte sich, wie er damals, diese Voss in einem zugemauerten Raum des Hauses gefunden hatte. In den Keller hatte er sie gebracht, und

„Mann! Ärger habe ich bekommen mit meiner Sammy, damals. Als Jill und Jimmy noch so klein waren.“, dachte er.

Irgendwann ging er in den Keller runter und fing an auf der Voss zu schreiben. Er schrieb was ihm durch den Kopf ging und irgendwie fanden seine Geschichten Interesse bei einem Verleger.

„Wahrscheinlich hat Sammy sie gut gefunden und hat es einfach versucht und sie eingeschickt“, dachte sich Bobby.

„Ja, ich schreibe“, sagte Bobby zu seinem kleinen Enkel. Timmy war gerade sieben Jahre alt und Bobby und Sammy waren sehr glücklich, wenn Jill sie mit ihrem kleinen Sohn besuchen kam.

„Grandpa, Grandpa, ich hab Dich lieb!“, sagte der kleine Timmy zu seinem Opa und Bobby spürte dieses wunderbare warme Gefühl in seinem Herzen.

„Dad, die Zeitung will ein Interview mit Dir“, rief‘ Jill von unten.

„Das wievielte ist es eigentlich?“, fragte Sammy, die in der Küche stand.

„Ja, das wievielte ist es denn?“, fragte sich Bobby und er konnte sich einfach nicht erinnern. Sein dreißigstes Buch war es mittlerweile. Sein dreißigster Bestseller.

„Lass Sie doch am Sonntag kommen“, sagte Sammy zu Jill.

„Ja. Ist ok, ich richte es denen aus“, antwortete Jill.

„Soll ich wieder für Dich das Interview halten? fragte Sammy Bobby.

„Ja, wie immer!“, sagte Bobby.

Er hatte keine Zeit für solche Sachen, er saß hier und schrieb. Bobby erinnerte sich, am Anfang, als er mit den Geschichten plötzlich so einen großen Erfolg gehabt hatte, versuchte er es, gab ein paar Male Interviews mit einigen Journalisten, die ihn als „Rising Star“ unter den Autoren unbedingt sprechen wollten.

Aber Jill schlief dann wieder so lange. Wenn er aber schrieb, begrüßte ihn seine Jilly morgens freudenstrahlend mit ihrem Teddy Billy unterm Arm, kam zu ihm, umarmte ihn, sagte ihm, „Daddy, Daddy, ich hab Dich so lieb“, und er saß da, an der Voss, und war glücklich.

Sammies Glück

„Hier, bitte schön!“, sagte Sammy zu ihm.

Sie war in das Arbeitszimmer gekommen, hatte ihm eine Tasse Kaffee gebracht, so wie jeden Tag zu dieser Zeit und einen kleinen Teller mit einem Stückchen Kuchen. Ein süßes Teilchen, sowas liebte er. Sammy war grau geworden. Sie konnte sich noch ganz genau an ihre erste graue Strähne erinnern. Es war am Tag, als Jilly damals im Krankenhaus aufgewacht war. Bobby war, wie sie, auch alt geworden. Sein Haar war licht, seine Haut grau und faltig.

Sammy setzte sich neben ihn auf den alten Sessel, der schon so viele Jahre dort stand. Jeden Tag saß sie bei ihrem Bobby, wenn sie konnte, hörte seinem Tippen auf der alten Voss Schreibmaschine zu, die er seitdem immer benutzt hatte. Sammy lächelte sanft. Sie sah den kleinen Timmy und seinen Teddybären. Wie er da stand und seine grünen Augen begeistert seinen Opa und die Schreibmaschine anstrahlten.

Der kleine Timmy würde vielleicht auch einmal ein großer Schriftsteller werden, genau wie sein Opa Bobby, dachte sich Sammy.

Bobby schwang mit der Erfahrung von Jahrzenten die Tasten der Voss und unter dauerhaftem Tacken mit regelmäßigem Klingeln und einem „Wutsch“ wenn er den Zeilenhebel der Maschine bewegte, flog der Wagen mit dem Papier immer wieder hin und her. Sammy sah ihm dabei zu. Seit vielen Jahren saß sein Opa dort und sorgte dafür, dass es ihr und Jilly und dem kleinen Timmy so gut gehen konnte. Sie nahm ihre Hand, legte sie sanft auf Bobbies Unterarm der sich davon nicht beirren ließ.

Sammy nahm einen Schluck aus der Kaffeetasse, blickte ihn an und sagte:

„Ich liebe Dich Bobby.“

ENDE

Die Geschichte ist (bis auf die Angaben zur Schreibmaschine) frei erfunden, Namen, Adressen usw…usf…stört mich nicht, meine Voss ruft mich.

3 Gedanken zu „Eine Halloween Geschichte: Die Voss S24/Voss ST 24“

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