Fortsetzung von Teil Eins der Geschichte einer „Triumph Modell 10“
Tag fünfsechssieben, oder acht
Jetzt steht sie da. So rum.
Typenlos, halbnackt, verletzlich. Dieses Biest.
Bau ich die Hebel nun wieder rein, oder nicht?
Aber irgendwie ist mir heute nicht danach:
Nein.
Sie ist noch nicht fertig.
Warte mal! Ich stehe im Raum. In dem Raum, den ich nur für sie aufgeräumt habe. Platz geschaffen, Licht gemacht. Raus mit dem ganzen Müll, rein mit Dir.
Mit Dir?
Die Prinzessin – ich nenne sie jetzt so, gestern war es noch „die Zehn“ so eine Majestätsbeleidigung – steht da nicht irgendwie auf der alten Arbeitsplatte wie so ein Stück Metall und wartet bereitwillig. Nein.
Was ist Dein Geheimnis?
Was ist Dein Geheimnis. Der Satz spukt in meinem Kopf. Gestern gab´s kein Riesling aus der Pfalz. Weiße Mäuse seh´ ich auch nicht. Glaube ich. Der erste Blick aus dem Fenster heute morgen ließ auf einen wunderschönen Spätsommertag schließen. Der Blick hat recht: das ist ein wunderschöner Spätsommertag. Und ich dreh so meine Morgenrunde. Hab Urlaub. Hab Zeit. Erst ein Tee. Dann mal sehen. Im Kopf ist mir noch wolkig, aber langsam klart es sich auch da auf.
Sie wartet schon auf mich!
Also runter in den Keller. Die Tür zum Garten auf, die Morgenluft will rein. Ich fühl mich regelrecht schwebend als ich zuerst – wie immer – den Tomatenpflanzen was Gutes tue, dann einen kurzen Blick in den Mischraum werfe. Alles gut, hoppla, Fenster war gekippt die Nacht. Na, schadet nix. Da ist so dieses Kribbeln im Hirn. Dieses Glucksen im Hals, dieses leichte Zittern. Dieser Mini-Gedankenfetzen, immer mal wieder, die ganze Zeit. Seit gestern geht mir das so. Und ich zieh das auch noch in die Länge. Geh nicht sofort runter und leg los, sondern tänzel so ein bisschen um sie rum.
Aber dann ist es soweit. Das ist so ein ganz feiner Moment, so eine Sphäre, so was mehrdimensionales. Da hat man das Gefühl, dass man mehr als seine sieben Sinne hat, da steht man mit beiden Beinen fest auf dem Boden. Und hat den Eindruck, dass man etwas entdeckt hat. Das man auf einer Spur ist. Ja,
Du bist auf einer Spur!
Jetzt will ich es wissen: was ist es, was Du mir sagen willst? Was hältst Du vor mir verborgen? Eine versteckte Flaschenpost, den Da Vinci-Code, die Lösung zu allen Fragen? Ich will Dich weiter erforschen! Jetzt aber nicht den Schraubenzieher raus und los, nein: das kommt ganz anders über mich. Ich lege also die Kiste mit den geputzten Typen beiseite, ins wohlorganisierte Regal und es zieht es mich zu diesem Wagen, den ich gestern ausgebaut hatte und der nun da so schläfrig in einer Schachtel auf dem Boden liegt. Licht und Radio angemacht und so schau ich mir mal an, was mich gerade gerufen hat.
Zum Anfang meiner Reise mit der Prinzessin hatte ich ihn schonmal ausgebaut. Hab mich gefreut über diese Beachtung des späteren Nutzens beim Erfinder. Nicht so wie heute, wo irgendwas irgendwie zusammengeklebt wird, weil es sowieso niemand mehr auseinanderbauen wird. Heute wird es ganz einfach auf den Müll geschmissen. Nicht so hier: Am Gehäuse hat der Konstrukteur eine Öse bereitgestellt, in die der Kunde das Federband einhaken kann, wenn er den Wagen entfernen muss. Das muss man eigentlich zweimal sagen: An alles gedacht. Wirklich an alles!
Eine erste Reinigung der Rollen (die zum Glück zwar grau und dreckig, aber formhalber gut in Schuss waren) hab ich schon vollzogen und die Metall und Lackteile bekamen ein paar Streicheleinheiten mit Nevr Dull. Dieses ölige Wollzeugs nutze ich schon seit dreißig Jahren. Damals haben wir unsere Käfer und Karmänner so auf Hochglanz gebracht. Man kann damit einfach nichts kaputt und falsch, sondern nur richtig machen. Die Prinzessin war an den Chromteilen allerdings schon arg angerostet, der schicke Chrom aufgebröselt, an einer Seite wurde sie sogar ganz grün. Vielleicht steckt in der Rolle ja Kupfer drinne, wer weiß? [Ja, nee, iss klar: eine Menge Messingteile sind da verbaut. Klassischer Steampunk]
Ich denke also über meinen Dremel nach. Ja, maschinell ist schnell, aber in dem Fall hier: das verlangt doch Zuwendung und Respekt! Gut, dann los, in beide Hände genommen das Ding, gedreht und gewendet, rauf auf den Tisch, das Handtuch nicht vergessen, hingesetzt und dann schauen wir mal.
Mal von links. Hm, aha, dann von rechts. Ja, schön spiegelt sich der Lampenschein im Lack, das Triumph-Signet (vornehm, Seniorina!) ist nicht mehr ganz vorhanden,
doch da, was ist denn das?
Gibt mir die Lady ein Geheimnis preis.
Ganz leicht, kaum sichtbar, blinzelt mir da auf einmal ein Aufdruck unter dem schwarzen Lack entgegen. Jetzt geht´s los. Die Prinzessin kam ja, wie im ersten Teil geschrieben, aus der Region. Das ist ja mit das Schöne am lokalen Einkauf alter Schreibmaschinen, dass viele aus dem „selben Laden“ stammen. Läden, die es vielleicht noch gibt. Oder Läden, die es mal gegeben hat. Und so lernt man gleichzeitig auch die eigene Geschichte kennen. Am (immer noch) lebenden Objekt.
Als Füller-Freund habe ich das auch schon kennengelernt: seit meiner späten Schulzeit habe ich einen Lamy 2000 als Füller benutzt. Mein Abitur, meine Studienzeit: alles dieser eine Füller. Als ehemaliges Werbegeschenk eines Mannheimer Bauunternehmens, in dem mein Vater früher beschäftigt war, hab ich damals einen bekommen. Ansonsten wäre das Ding viel zu teuer gewesen.
Als Schüler war Geha oder Pelikan der Füller der Wahl. Schade, dass es ausgerechnet Geha auch schon erwischt hat. Ich fand die immer besser, als die Pelikäne. Also Lamy, da waren wir stehengeblieben: Lamy ist aus Heidelberg, wirklich nicht weit von hier. Aha.
KaWeCo Füller: noch so´n regionales Ding
Irgendwann dann räumt man mal die Wohnung der Großeltern aus und findet weitere Indizien für spannende Geschichte: so kleine und geschmeidige Füller, wie einen alten Kaweco muss man heute mit der Lupe suchen. Eine feinere Spitze war mir bis dahin nicht bekannt und nun wusste ich auch, mit was der Opa auf seine Papierfetzen geschrieben hatte. Damals nach dem Krieg. Da war Papier und Tinte teuer. Das sieht man den Unterlagen heute noch an. Kaweco wurden einst hier in dieser Stadt gebaut!
Und nun das hier: eine verdeckte Botschaft an mich. Jawoll, an mich. Ich hab es mir doch gedacht:
Karl-Ludwig Münnich, Heidelberg
Münnich, Münnich? Den Namen kennste doch? Klar, war da nicht ein kleiner Aufkleber auf der Olympia SM 2, die ich aus Kirchheim habe? Wo die Großmutter 1953 die Maschine beim Münnich gekauft hatte? Das war der doch, oder?
Was sagt uns denn das Internetz zum Karl und jetzt wird´s weiter spannend:
Karl Ludwig Münnich (* 1890; † 1984) war ein deutscher Mundartdichter und Verleger.
Münnich schrieb in Pfälzer Mundart und veröffentlichte seine Bücher im Selbstverlag. Sein Text Alles was wohr isch wird mittlerweile in einem Schulbuch verwendet.[1] Ein Sketch mit Kurt Peter Bittler und Münnich wurde am 19. November 1949 im SDR gesendet; das Tondokument befindet sich im Hauptstaatsarchiv Stuttgart.[2] Das Grab Münnichs befindet sich auf dem Heidelberger Bergfriedhof.
Ob dieser Karl nun „unser“ Karl ist, vermag ich nicht genau zu sagen. Ich schätze aber mal: ein Selbstverleger und ein Schreibmaschinenverkäufer sind nicht allzu weit voneinander entfernt. Das erste Werk von unserm Karl ist laut Wikipedia von 1933. Die Maschine laut Seriennummer von 1928, oder sogar 1927. Kann also gut sein, dass aus dem (zuvor) erfolglosen Autor und erfolgreichen Händler ein erfolgreicher Autor wurde. Wenn unser Karl 1953 eine Olympia SM 2 verkauft haben sollte, dann war er sogar erfolgreicher Händler und erfolgreicher Autor. Na, so schließt sich der Kreis.
Die vergrabene Botschaft gibt aber noch eine zweite Zeile preis:
vorm. Pistorius & Henn GmbH
was sagt uns denn das Netz dazu:
Die „Carmen“ war eine kleine Typenhebelmaschine mit einem dreireihigen Tastenfeld und Vorderaufschlag.
Konstrukteur der Maschine war Carl Pistorius, der in Heidelberg Teilhaber der „Pistorius & Co.“ war. Es wurde mehrfach umfirmiert, zunächst in „Pistorius & Sinner“, dann in „Pistorius & Henn GmbH“. Schließlich wurde die Gesellschaft unter der Firma „Carmenwerk AG“ nach Stuttgart verlegt und die „Carmen“ nach einer Überarbeitung auf den Markt gebracht.
Die Maschine hatte 30 Tasten, mit denen mittels doppelter Umschaltung 90 verschiedene Schriftzeichen geschrieben werden konnten.
Durch eine besondere Einstellungsmöglichkeit konnten bei der „Carmen“ alle gängigen Farbbänder in einer Breite von 10 bis 16 mm verwendet werden.
Na, da schau her! Da hat mir die Prinzessin doch glatt eine neue Spur eröffnet: eine Carmen Schreibmaschine. Konstruiert von einem Heidelberger Carl, der eine Firma hatte, die dann später von unserem anderen Heidelberger Karl irgendwie übernommen wurde. Und der erst unsere Prinzessin an die Oma unserer Freundin verkaufte und später eigene Mundart-Bücher vertrieben hat. Der eine regionale Berühmtheit war. Ein Kreativer!
Der lange Weg der Prinzessin
Was für eine Wanderung! Was für ein Weg: von Carl, dem Konstrukteur, zu Karl dem Autor und Händler, zur Oma der Kundin, zur Enkelin der Erbin. Lange irgendwo im Staub gestanden und gewartet. Gewartet auf diesen Moment. Fast einhundert Jahre später. Da räume ich meinen Keller aus. In einem Haus, das in dieser Nachbarschaft auch schon wieder über achtzig Jahre steht. Das gebaut wurde, als die Oma fleißig auf der damals (und heute) „erstklassigen“ Schreibmaschine schrieb. Und in dem Keller, da blitzt mir ganz versteckt diese lange und wunderbare Geschichte entgegen. Da bündelt ein Schriftzug auf altem Metall, verdeckt von schwarzem Lack, eine Vielzahl von Menschen mit ihren Schicksalen zu einem gemeinsamen Miteinander.
Dieser Prinzessin hier. Der Triumph Modell 10 mit der Seriennummer 60804.
Und so geht der Weg weiter. Nimmt eine Abzweigung.
Zum Einen: das Erwachen der Prinzessin schreitet fort.
Zum anderen: ich will so eine Carmen!